Wertorientierte Unternehmensführung

Wertorientierte Unternehmensführung
von Thomas M. Dewner
I. Begriff und Aufgaben
Die wertorientierte Unternehmensführung verfolgt als strategisches Unternehmensziel die Steigerung des Unternehmenswertes. In Abgrenzung zu traditionellen Unternehmenszielen wie der Umsatzsteigerung, der Ausdehnung des Marktanteils oder der Gewinnmaximierung steht bei der wertorientierten Unternehmensführung das Verhältnis zwischen dem Unternehmen zu seinen Eigentümern ( Shareholder Value) oder allgemein zu seinen Anspruchsgruppen ( Stakeholder-Ansatz) im Vordergrund. Als  Anspruchsgruppen neben den Eigenkapitalgebern werden v.a. Mitarbeiter, Kunden, Gläubiger sowie das gesellschaftliche Umfeld des Unternehmens (Corporate Citizenship) genannt. Im Hinblick auf die anderen Anspruchsgruppen gibt es Kennzahlen (z.B. Mitarbeiterfluktuation, Kundenzufriedenheitsindex), die in einzelnen Konzepten, z.B. durch die  Balance Scorecard zusammengeführt werden. Bisher hat sich jedoch noch kein kohärentes Zielsystem durchgesetzt, das eine Priorisierung der Einzelziele oder die Festlegung von Mindestzielen vornimmt.
Die wertorientierte Unternehmensführung bezieht sich im engeren Sinn auf die Eigen- und Fremdkapitalgeber. Der Shareholder Value, also die Ausrichtung des Unternehmens an der Wertsteigerung des Aktionärsvermögens, wird gelegentlich nur auf den Börsenwert des Unternehmens bezogen. Die Kritik an einer so reduzierten Sichtweise bezieht sich einerseits auf die fehlende Nachhaltigkeit, andererseits darauf, dass der Aktienkurs nicht nur von unternehmensspezifischen Entwicklungen abhängt, sondern eine Kurssteigerung auch durch ein allgemein freundliches Börsenumfeld begünstigt sein kann. Die gesellschaftliche Kritik am Shareholder Value wendet sich v.a. gegen eine Betonung der Aktionärs- oder Eigentümerinteressen. Insofern ist diese Kritik auch auf Unternehmensziele wie Gewinnmaximierung übertragbar und ist weder neu noch spezifisch gegen den Shareholder Value oder die wertorientierte Unternehmensführung gerichtet.
Bei der Beurteilung von Strategiealternativen durch das Management sind diejenigen, die dem Unternehmen den größten nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verschaffen, auch diejenigen, die den höchsten Shareholder Value schaffen. Insofern besteht zwischen dem Unternehmenswert und anderen Erfolgsgrößen, wie dem  Jahresüberschuss,  operativem Ergebnis oder  Cashflow, eine Wechselbeziehung. Über die Entwicklung des Unternehmenswertes gilt es im Rahmen der Kapitalmarktkommunikation, z.B. in Form des Value Reportings, zu berichten.
Die wertorientierte Unternehmensführung ist mit der Verbreitung moderner Verfahren der Unternehmensbewertung entwickelt worden. Diese sind gekennzeichnet zum einen durch eine Orientierung an zukünftigen Erfolgsgrößen, v.a. Zahlungsüberschüssen, weniger an (zurückliegenden) Erfolgs- und Bestandsgrößen und zum anderen durch eine kapitalmarktdeduzierte Anforderung an die Kapitalverzinsung (z.B.  Capital Asset Pricing Model). Letzteres unterscheidet die wertorientierte Unternehmensführung vom Unternehmensziel der Gewinnmaximierung, indem es Renditeoptimierung postuliert und diese den Renditeanspruch der Investoren gegenüber stellt.
II. Verfahren der wertorientierte Unternehmensführung
1. Economic Value Added (EVA)
Der EVA ist ein Übergewinn, der die Differenz von erzielter Rendite und Kapitalkosten entspricht. EVA-Modelle gehören der Gruppe der Contribution-Modelle an. Ein Wertzuwachs wird hiernach in einer Periode nur dann erzielt, wenn die Erlöse sämtliche Kosten, d.h. einschließlich der Eigenkapitalkosten, also der Renditeanforderung der Eigenkapitalgeber, überschreiten. Ein negativer EVA zeigt an, dass ein Teil des Unternehmenswertes vernichtet wurde. Die Kapitalkosten können somit als die zu überspringende Hurdle Rate interpretiert werden, um zusätzliche Werte im Unternehmen zu schaffen.
Der EVA kann nach der Capital-Charge-Formel (CCF):EVACCF = NOPAT – Kapitalkosten
oder nach der Value Spread-Formel (VSF):
berechnet werden, wobei: NOPAT = Net Operating Profit After Tax (operatives Ergebnis nach Steuern und vor Zinsen) und  WACC = Weighted Average Cost of Capital.
Einen der wichtigsten Aspekte innerhalb von wertorientierten Steuerungsansätzen stellt die korrekte Bestimmung von Kapitalkosten dar, da sich daraus die entsprechende Benchmark für die Erfolgsbeurteilung ableitet. Für die Ermittlung der Eigenkapitalkosten wird oftmals auf das Capital Asset Pricing Model verwiesen. Bei der Bestimmung von Fremdkapitalkosten kann z.B. vereinfachend der Zinsaufwand einer Periode durch den Bestand des zinstragenden Fremdkapitals zu Periodenbeginn oder als Jahresdurchschnitt dividiert werden. Eine zusätzliche Komplexität erfährt die Bestimmung der Fremdkapitalkosten, wenn kurzfristige „zinsfreie“ Rückstellungen oder Pensionsrückstellungen in erheblichem Umfang vorhanden sind.
Bei der Ermittlung des investierten Kapitals müssen gegenüber den Buchwerten Anpassungen vorgenommen werden; diese betreffen in der Praxis v.a. die Kapitalisierung des Barwertes der Leasingraten, die Hinzurechnung der LIFO-Reserven zum Eigenkapital, Bereinigung von derivaten Geschäftswerten um die herauf entfallenden kumulierten Abschreibungen. Ausgehend vom im Jahresabschluss ausgewiesenen Steueraufwand werden alle Steuererhöhungen bzw. -minderungen aufgrund nichtbetrieblicher Erträge und Aufwendungen korrigiert. Durch die Anpassung der Steuern soll die Steuerbelastung eines ausschließlich mit Eigenkapital finanzierten Unternehmens simuliert werden.
Zur Bestimmung einer risikoadjustierten Rendite sind eine Vielzahl von so genannte Risk Adjusted Performance Measurements entwickelt worden, die v.a. in Banken – jedoch auch in Industrieunternehmen – angewandt werden. Hierzu zählen z.B. der Risk Adjusted Return on Capital (RAROC) und der Return on Risk Adjusted Capital (RORAC). Die so ermittelte risikoadjustierte Rendite kann wiederum den Kapitalkosten gegenübergestellt werden, um den zusätzlich erwirtschafteten Unternehmenswert zu ermitteln.
2. Return on Capital Employed (ROCE)
Der ROCE ist ebenfalls ein einperiodenbezogenes Renditemass. Er errechnet sich als Quotient aus betrieblichem Ergebnis (Operating Profit) und gebundenem Kapital (Capital Employed):
Im Gegensatz zu traditionellen Renditemaßnahmen, z.B. Eigenkapitalrentabilität, orientiert sich der ROCE-Ansatz an der Kapitalverwendung und nicht an der Kapitalherkunft. Darüber hinaus stellt er nur auf den betrieblichen Erfolg ab, so dass steuerliche Effekte, die, gleichwohl von großer Bedeutung für die wertorientierte Unternehmensführung, die internationale Vergleichbarkeit erschweren, sowie das Zinsergebnis nicht ins Kalkül gezogen werden.
3. Cashflow Return on Investment (CFROI)
Der CFROI basiert auf der Interne-Zinsfuß-Methode der traditionellen dynamischen Investitionstheorie. Er bestimmt eine in der Vergangenheit realisierte interne Verzinsung, indem er auf bereits realisierte Ein- und Auszahlungen der Periode zurückgreift. Mithin ist der CFROI keine Entscheidungs-, sondern eine Kontrollrechnung. Da seine Berechnung auf Daten aus dem Jahresabschluss beruht, besitzt er einen Stichtagscharakter.
Die Einzahlungsüberschüsse werden anhand des realisierten Brutto-Cashflows (CFt) bestimmt, wobei unter Brutto-Cashflow der „typische“ Einzahlungsüberschuss einer Periode aus dem operativen Geschäft vor Investitionen verstanden wird. Am Ende der Nutzungszeit wird ferner das nicht-abnutzbare Vermögen (NAV) ausgekehrt. Die Anfangsauszahlung wird durch die inflationierten Anschaffungs- und Herstellungskosten (AHKinf) substituiert. Sie bilden die Bruttoinvestitionsbasis. Die durchschnittliche Nutzungsdauer wird anhand der historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten und der Periodenabschreibungen ermittelt. Damit ergibt sich für den CFROI folgende Gleichung:
, mit r = CFROI. Unterstellt man einen konstanten Cashflow, so lässt sich diese Gleichung mithilfe des Rentenbarwertfaktors (RBW) in folgende Form transferieren:
Da die mathematische Auflösung der Gleichung nach dem CFROI oft wenig praktikabel ist, lässt sich der CFROI auch vereinfacht errechnen, indem der Brutto-Cashflow der Periode durch die Bruttoinvestitionsbasis (AHK) dividiert wird. Diese vereinfachte Form gibt den CFROI bei unendlicher Lebensdauer wieder. Darüber hinaus kann sie auch als Approximation des CFROI für eine Lebensdauer größer als 15 Jahre verwendet werden. Dieser Quotient wird auch als Gross Profitability Ratio oder Cash Recovery Rate bezeichnet.
Neben der Analyse des Wertbeitrages eines strategischen Geschäftsfeldes (absoluter Wertbeitrag) können der EVA, ROCE und CFROI auch zum Vergleich mehrerer Geschäftsfelder hinsichtlich ihres Wertbeitrages herangezogen werden (relativer Wertbeitrag). Hieraus lassen sich Entscheidungsgrundlagen für das Portfolio-Management eines Unternehmens, wie Verkauf oder Ausbau eines Geschäftsfeldes, ableiten.
III. Anreizstrukturen
Um eine Gleichrichtung der Eigentümerinteressen und des Managements (Prinzipal-Agent-Problem) zu erreichen, können dem Management u.a. Optionen auf Aktien des Unternehmens, Stock Appriciation Rights und Sonderzahlungen, die sich am operativen Erfolgsgrößen orientieren, gewährt werden. Die Nachhaltigkeit der Kurssteigerung kann in Aktienoptions-Programmen u.a. durch Mehrjahresdurchschnitte, Outperformance gegenüber einem Aktienindex abgebildet werden. Aktienoptions-Programme stellen v.a. auf eine Rentabilitätssteigerung des Eigenkapitals ab. Diese basiert auch auf einer Optimierung der Kapitalstruktur des Unternehmens, wie sie z.B. durch die Nutzung von Aktienrückkäufen oder die vorzeitige Rückzahlung von Anleihen vorgenommen werden kann.
IV. Wertung
Der Unternehmensbewertung und der wertorientierten Unternehmensführung liegt gleichermaßen das Problem zu Grunde, dass die Erfolgsbeiträge von weiter in der Zukunft liegenden Jahren schwieriger zu ermitteln sind als die in der näheren Zukunft. Bei der Unternehmensbewertung wird der Planungszeitraum üblicherweise in einen näheren Planungszeitraum (drei bis fünf Jahre), für den detaillierte Erfolgsgrößen ermittelt werden, und einen ferneren Planungszeitraum, für den zumeist eine pauschale Weiterentwicklung der Erfolggrößen angenommen wird, unterschieden. Der für den ferneren Planungszeitraum ermittelte sog. Residualwert hat häufig einen großen Anteil am gesamten Unternehmenswert. Dieser Wertanteil liegt bei einem Unternehmen, das sich in seinen Kennzahlenstrukturen nicht stark verändert, typischerweise zwischen 60 und 80 Prozent. Sofern das Unternehmen sich in einer Turnaround-Situation befindet, kann der Anteil annähernd 90 Prozent des gesamten Unternehmenswertes und in extremen Fällen sogar den gesamten Unternehmenswert ausmachen. Die Veränderung der Erfolgsgrößen erstreckt sich über mehrere Perioden. Für die wertorientierte Unternehmensführung ist es daher wichtig, die unter II. skizzierten Verfahren nicht nur auf eine Periode, sondern, v.a. in Fällen der Neuausrichtung des Unternehmens oder bei starken Umweltveränderungen, vielmehr auf die Gesamtperiode abzustellen. Literatursuche zu "Wertorientierte Unternehmensführung" auf www.gabler.de

Lexikon der Economics. 2013.

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